Das Kreativitäts-Dilemma

In meinem Leben habe ich schon einige Dinge als Hobby betrieben, die andere Menschen als kreativ bezeichnen würden: zeichnen, schreiben, Kostüme nähen und fotografieren zum Beispiel. Ich habe oft gehört wie toll es doch sei, dass ich meine kreative Seite so ausleben könne und wie schön es sei, dass es so fantasievolle Menschen wie mich gäbe. Es war mir schon immer unangenehm, solche Kommentare zu hören. Zum größten Teil deswegen, weil mir an mich gerichtete nette Worte oft falsch vorkommen, aber auch und vor allem weil ich einfach nicht kreativ bin.

Für mich bedeutet Kreativität vor allem, etwas aus dem Nichts erschaffen zu können oder mit wenigen Mitteln eine Illusion des Neuen zu erschaffen. Das ist beispielsweise bei der Fotografie so. Alles, was man braucht, ist schon da. Ein Foto ist zunächst nur ein Foto. Ich halte nur die Kamera auf ein Motiv, ich drücke auf den Auslöser. Fertig. Kreativ bin ich dann, wenn ich dem Motiv eine Stimmung zuweise. Wenn ich das Bild mit kleinen Kniffen oder Hilfsmitteln so ändere, dass es kein bloßes Abbild mehr ist sondern eine Illusion, die neben der Wirklichkeit existiert. Klingt etwas abstrakt, meint aber: Was auf dem Foto zu sehen ist, kann ich nicht 1:1 wiederfinden.

Beim Zeichnen ist es meist viel offensichtlicher. Statt Landschaften oder Gebäude einfach abzumalen, erzeugt die Vorstellungskraft ganz neue Welten in den Köpfen. Man sieht Farben, Formen, Bewegungen. Man taucht ein in diese Fantasie und bringt sie dann zu Papier. Gleiches gilt für das Schreiben. Wer Geschichten in sich findet und sie niederschreibt, der ist kreativ. Für Bachelorarbeiten oder Geschichtsaufsätze gilt das weniger.

Kostüme zu nähen mag auf den ersten Blick kreativ wirken. Ist man aber Cosplayer (so wie ich es war), erfindet man in den meisten Fällen nichts eigenes. Man richtet sich nach Vorlagen, studiert das, was man kopieren möchte, möglichst genau. Die wenigsten Cosplayer probieren sich an Eigenkreationen oder versuchen eine persönliche Note in die Kleidung einzuarbeiten. Man arbeitet sich an Vorgaben ab, es gilt nur, den Übergang von einer künstlichen in die reale Welt zu vollziehen. Kreativ sind dabei nur diejenigen, die neue Materialien oder Arbeitsmethoden nutzen. Die werden dann tausendfach kopiert.

Es ist sehr eindeutig: Der einzige Bereich, in dem ich jemals wirklich eigenständig kreativ gewirkt habe, ist das Schreiben. Viele Jahre lang flossen die Geschichten aus mir heraus, wurden aus meinen Gedanken in die Welt hinein geboren. Das war schön und es hat mich erfüllt. Doch je höher meine Ansprüche an mich selbst wurden, desto schwerer fiel es mir, eigene Ideen zu entwickeln. Alles war fad, ausgelutscht, nicht innovativ, einfach nicht gut genug. Und so versickerte meine Begeisterung, wurde zu einem kleinen Tröpfeln in den Tiefen meiner selbst. Ich kriege es nicht hin, den Zufluss wieder zu öffnen, egal wie sehr ich es versuche. Klar, ich kann immer noch ganz gut mit Worten. Darauf bin ich auch ein wenig stolz. Doch wirklich etwas damit anfangen kann ich anscheinend nicht mehr. Die Verbindung zwischen dem, was mir liegt und dem, was die Kreativität ins Spiel bringt, wurde unterbrochen.

Der Gedanke daran macht mich traurig. Vor allem wohl, weil er mir vor Augen führt, dass ich immer nur einen einzigen Traum hatte, den ich mir wohl nicht erfüllen kann, was meine Leistungen in diesem Leben auf ein sehr überschaubares Nichts begrenzt. Wenn ihr also nicht einfach nur existieren wollt, um anderen die Luft weg zu atmen und eure Moleküle durch die Gegend zu schieben, nutzt eure Talente und eure Kreativität so lange es noch geht!

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