meine Energie

In unserer Leistungsgesellschaft ist der Energiehaushalt, den wir besitzen, irgendwie nur selten Thema. Wenn doch, dann geht es meist um sportliche oder arbeitstechnische Leistung, wie wir sie erhöhen können und welche Pausen wir einhalten müssen, um danach noch fitter zu sein und auf 100% laufen zu können. Schneller, weiter, höher, besser: Das ist es, worum es heutzutage geht. Keine Schwäche zeigen, keine Müdigkeit vorschützen, immer weiter, weiter, weiter!

Ich kann das nicht. Ich habe es versucht, jahrelang, und bin daran gescheitert. Zuerst fand ich das schlimm, denn ich wurde radikal ausgebremst und nicht jeder um mich herum hat das verstanden, nicht mal ich selbst. Plötzlich waren da Grenzen, die nicht sichtbar waren, dafür deutlich spürbar. Und diese Grenzen wollten eingehalten werden, auch wenn von außen ständig der Druck kam, sie zu ignorieren und niederzutrampeln. Über die Jahre musste ich also lernen, nicht nur mit meinen inneren Widerständen klarzukommen, sondern auch nach außen zu verteidigen, was ich als mein Inneres Sanktum bezeichne. Noch immer fällt mir das oft schwer, denn es bedeutet manchmal Rückzug, manchmal auch die Einsicht, nicht nur geben zu können, und von Zeit zu Zeit auch Ehrlichkeit oder Härte gegenüber anderen Menschen, wenn es um die eigenen Bedürfnisse geht.

Ich dachte sehr lange, dass mich dieses Thema nur beruflich betrifft. In den letzten Jahren merke ich aber immer mehr, wie wichtig Auszeiten und Rückzugsmöglichkeiten auch im privaten Bereich sind. Und wie viel schwerer es mir fällt, dort meine Grenzen zu ziehen. Insbesondere was die Familie angeht, ist die Kommunikation da manchmal schwierig. Ich kann nur schlecht einschätzen, ob Verständnis da ist oder ob man plötzlich angepisst reagieren könnte. Im Freundeskreis ist das leichter, ich weiß auch nicht genau, warum.

In der letzten Woche hatte ich Familienbesuch von meinem Vater, meiner Stiefmutter und ihrem Hund und sie sind auf dem örtlichen Campingplatz abgestiegen. Einerseits wegen des Hundes, denn mit meinen Katern zusammen in einer Wohnung, das geht einfach nicht. Andererseits haben sie ohnehin einen Wohnwagen und sind gern damit unterwegs. Wir haben wirklich ein paar schöne Tage miteinander verbracht, sind viel spazieren gegangen, haben miteinander gegessen, es gab Sightseeing… Aber allein durch die räumliche Trennung gab es auch genug Raum, um die Batterien wieder aufzuladen. An einem Nachmittag habe ich mich früher verabschiedet, weil ich das einfach brauchte. Und es war sehr angenehm, dass keine übertriebene Erwartungshaltung herrschte. Von keiner Seite.

So wünsche ich mir das immer. Dann brauche ich auch keinen Urlaub vom Urlaub, weil ich ohnehin dauerhaft entspannt bin.

Warum ich mich unter der Woche eigentlich nicht verabrede.

Erinnert ihr euch noch daran, dass ihr euch während der Schul-, Studien- oder Ausbildungszeit quasi täglich mit jemandem zum Spielen, Schwimmen, Shoppen, Kaffee trinken oder einfach zum Abhängen getroffen habt? Und wisst ihr auch noch wie ihr das empfunden habt? War das ganz normal und euch war furchtbar langweilig, wenn ihr doch mal alleine zuhause gesessen habt? Aber wenn ihr daran denkt, heutzutage ständig etwas zu unternehmen und jeden Tag durch die Weltgeschichte springen und andere Menschen sehen zu müssen, überfordert euch das? Tja, dann herzlichen Willkommen im Club, euch geht es wie mir.

Bei mir war der Cut nicht ganz so hart, denn bereits in der Schulzeit wollte ich gar nicht jeden Tag verabredet sein. Ich habe immer schon gern Zeit für mich alleine gehabt, vor allem auch weil ich mich für Dinge interessiert habe, bei denen ich keine Gesellschaft gebrauchen konnte: lesen, zeichnen, schreiben. Nach der Schule wurden meine Verabredungen dann noch spärlicher, denn viele der alten Kontakte fielen weg und die neuen Bekanntschaften verteilten sich – Internet sei Dank – über ganz Deutschland. Es war also schlicht nicht möglich, sich mal eben auf einen Kaffee zu verabreden. Je älter ich wurde und je länger ich im Berufsleben stand, desto anstrengender empfand ich Verabredungen an Werktagen. Man hat schon acht oder neun Stunden lang geschuftet, will meistens einfach nur aufs Sofa und seine Ruhe haben und sich nicht noch über Gott und die Welt unterhalten, denn die Welt ist schon schlimm genug ohne dass man über sie spricht. Versteht mich nicht falsch, ab und zu kann das wirklich sehr schön sein, aber Zeit und Ort und vor allem meine Laune müssen stimmen.

Aber das, liebe Freunde, ist einer der größten Gründe, warum ich mich unter der Woche nicht gerne mit Leuten treffe: Die öffentlichen Verkehrsmittel rauben mir derart viel Zeit, dass ich Verabredungen in der besten Stimmung treffen und mich ganz arg auf sie freuen kann, aber letztendlich bleibt für sie viel zu wenig Zeit und ich bin am Ende einfach nur furchtbar spät zuhause und am nächsten Tag todmüde. Es ist definitiv besser geworden, seitdem sich im letzten Jahr mein Wohnort geändert hat. Jetzt wohne ich fast Tür an Tür mit meiner besten Freundin und ich verbringe auch in der Woche gern Zeit mit ihr. Nicht nur, weil ich mal eben rüber laufen kann, sondern auch, weil es mit ihr immer sehr entspannt ist und sich anfühlt als wäre ich zuhause. Doch ich habe ja auch Freunde aus anderen Orten und da geht es dann schon los. Mal eben Kaffee trinken in Düsseldorf? Hahahaha, nice try! Dank Streckensperrung bei der Bahn und Schienenersatzverkehr dauert es im Moment beinahe anderthalb Stunden, um in die Düsseldorfer Innenstadt zu gelangen. Ein nettes Abendessen in Köln? Siehe oben, gleiche Situation. Die umliegenden Kleinstädte per Bus und Bahn zu erreichen, ist teilweise noch schwieriger und die Fahrtzeiten entsprechend höher. Oder es fahren gar keine Busse mehr, weil abends ja niemand mehr durch die Gegend gondeln möchte. Kennt man ja, ab 20 Uhr sitzen alle Menschen vor dem Fernseher und sehen die Tagesschau. Zurück in die 80er.

Und so beschränken sich soziale Kontakte dann aufs Wochenende oder eben auch nicht, weil da jeder irgendwas vor hat und man nicht alle Menschen gleichzeitig sehen kann. Ich bin kein Mensch, der unbedingt ein Auto haben möchte, auch wenn ich weiß, dass es vieles leichter machen würde. Aber das Geld und der Wille fehlten einfach. Nun hat sich allerdings eine Gelegenheit ergeben, die ich nicht ausschlagen konnte, und nun könnte es sein, dass sich in absehbarer Zeit mein Mobilitätsproblem weitgehend erledigt. Ich möchte auf keinen Fall auf die öffentlichen Verkehrsmittel verzichten, aber die ein oder andere Situation wird wohl sicherlich wesentlich entspannter und weniger zeitintensiver daherkommen. Und vielleicht kann ich dann auch unter der Woche ein wenig mehr unter Menschen kommen. Wir werden sehen.

Wochenende

Vor vielen Jahren habe ich einer für mich sehr wichtigen Person mal gesagt, wie traurig ich es finde, dass sie so wenige Freunde hat. Und dass ich mir nicht vorstellen könnte, irgendwann auch mal so wenige Leute um mich zu haben. Damals war ich umgeben von Menschen. Ich war oft unterwegs, um jemanden zu treffen und konnte mir keine Realität vorstellen, in der das nicht mehr so sein würde. Heute, fast zwei Jahrzehnte, mindestens eine mittelschwere Depression und eine Angsterkrankung später, sieht die Welt anders aus. Das, was ich mir mal gewünscht habe, ist nicht eingetroffen. Was ich mir für mein Leben vorgenommen hatte, ist in weite Ferne gerückt. Und die meiste Zeit verbringe ich allein.

Bevor das falsch verstanden wird: Es ist nicht per se schlecht, allein zu sein. Ich bin gern allein, ich kann mich ganz gut mit mir selbst beschäftigen und bin zufrieden damit, nur mit den Katern zu sprechen. Nur manchmal frage ich mich, ob es das jetzt war und ob es immer so sein wird bis ich irgendwann in die Kiste springe. Ja, keine besonders positiven Gedanken, aber sie sind durchaus valide wie ich finde. Manchmal fühle ich mich wie ein kleiner Korken, der im weiten Meer zwischen ein paar Flößen herum dümpelt. Ab und zu schlägt der Korken mal gegen ein Floß, das bekommt davon aber nicht wirklich was mit und schon ist er wieder abgetrieben und vergessen. Meine Freunde und meine Familie, die sind in ihren eigenen Verbünden ein Floß. Sie sind Paare, Familien, zusammengehörige Einheiten und ich bin nur ich und gehöre nirgendwo dazu. Ich habe es nicht geschafft, eine Partnerschaft aufrecht zu erhalten. Ich lebe weit entfernt von meiner Familie. Ich versuche mich nicht zu sehr bei meinen Freunden einzuklinken, weil sie ihre eigenen Familien und Partnerschaften haben und kein fünftes Rad am Wagen brauchen. Ich muss immer irgendwie vorsichtig sein, damit ich nicht zu viel bin, aber gleichzeitig muss ich auch aufpassen, dass mir niemand zu nah kommt, damit ich nicht verletzt werden kann. Das ist sehr anstrengend und raubt Kraft, weshalb ich Zeit zum Auftanken brauche und auch das resultiert dann wieder im Alleinsein.

Ich mag es nicht, mich so zu fühlen. Auf der einen Seite möchte ich mehr Kontakt zu Menschen, auf der anderen Seite ist mir das zu viel und ich will nicht bedürftig an jemandes Rockzipfel hängen. Mein Therapeut hat gesagt, es ist okay, ambivalent zu sein im Fühlen und im Denken. Dass jeder Mensch immer ein wenig von allem ist und dass es gut so ist. Wenn das gut ist, warum ist es dann so anstrengend?

In letzter Zeit mag ich die Wochenenden nicht mehr. Sie sind sinnlos und leer und fühlen sich nicht gut an. Ich tue nichts anderes als das, was ich jeden Tag tue: darauf warten, dass ich wieder arbeiten muss. Wie traurig ist das, bitte? Aber kann ich mich dazu aufraffen, etwas Sinnvolles in meinem Leben zu tun? Nein. Auch das schaffe ich nicht. Also doch nur warten. Auf irgendetwas oder auf irgendwen und dabei den Schmerz darüber verdrängen, dass nichts so ist, wie ich es mir mal vorgestellt habe.

Wie ich schon sagte, ist es nicht schlecht, alleine zu sein. Doch wann ist der Punkt erreicht, an dem man einsam ist? Und an dem man vor lauter Einsamkeit wieder in eine Depression fällt? Bin ich dort schon angekommen? Funktioniere ich gerade nur noch, weil ich es muss? Oder ist mein Leben eben einfach so und ich muss es akzeptieren, um damit wieder klarzukommen? Ich sollte das für mich herausfinden und zwar bald.

Meine Freundin Claudia

Wir haben uns im Jahr 2002 kennengelernt. Eine meiner wenigen Bekanntschaften, die sich ausschließlich auf einer Begegnung begründeten, die ich auf einer Anime-Convention hatte. Es war das zweite Jahr, in dem ich ein Kostüm getragen habe: Genderbend-Fireball aus Saber Rider and the Star Sheriffs. Meine Freundin Kerstin hat Colt getragen und dadurch wurde Claudia auf uns aufmerksam. Sie war ein riesiger Fan des Animes und ihr Lieblingscharakter daraus April. Was mehr als passend war, denn sie waren sich nicht nur charakterlich sehr ähnlich sondern auch optisch: Blond, blaue Augen, schlanke Figur. Wir verstanden uns gut. So gut, dass wir unsere Adressen austauschten. Briefe schreiben war damals noch ein Ding und Handys nicht nur recht rar gesät sondern auch teuer in der Nutzung. Also blieben wir auf dem schriftlichen Weg in Kontakt und wurden Freundinnen. Obwohl wir auf Bundesebene gesehen nicht sehr weit auseinander wohnten, sahen wir uns meist nur auf Conventions. Dort aber verbrachten wir viel Zeit miteinander, teilten uns Hotelzimmer, machten zusammen Cosplay, redeten und lachten und hatten die beste Zeit. Sie war ein sehr offener Mensch und erzählte mir viel aus ihrem Leben, auch von ihren Problemen, Wünschen und Träumen. Ich dagegen klammerte einige wichtige Aspekte meines Lebens aus. So kam es, dass ich die Einladung zu ihrer Hochzeit erhielt und mich plötzlich in Schockstarre befand. Ich konnte ihr auf die Einladung nicht antworten und ihr nicht erklären, warum es mir nicht möglich war, zu kommen. Dabei wollte ich es so gern. Und so endete der Kontakt.

Was ich ihr nicht sagen konnte? Ich befand mich in einer der schwierigsten Zeiten meines Lebens. Im Grunde balancierte ich jahrelang auf einem Drahtseil über dem Abgrund und wollte anderen Menschen dennoch weis machen, dass ich mit beiden Beinen fest auf dem Boden stehe. Depressionen, Panikattacken, Agoraphobie und Hypochondrie fesselten mich an mein Zuhause und an gewohnte Strukturen, die ich kaum verlassen konnte, ohne sofort in eine Krise zu geraten. Es war so unfassbar schwer für mich, das zu akzeptieren und den Umgang damit zu lernen, vor allem aber, das auch zu kommunizieren. Nicht vielen Menschen vertraute ich dafür genug, bei anderen hatte ich Angst vor ihrer Reaktion und davor, einfach fallen gelassen zu werden. Und wieder anderen wollte ich einfach nicht zeigen, wie fragil mein Ich tatsächlich war. Claudia gegenüber war es eine Mischung aus den beiden letzteren Punkten. Ich fürchtete mich so sehr, dass es mir leichter erschien, mich aus ihrem Leben zurückzuziehen, um selbst nicht verletzt zu werden. Eine dumme Entscheidung und noch dazu feige. Doch man tut, was man kann, und damals konnte ich nicht viel. Dennoch begann ich mich zu bemühen, ging in Therapie, in eine Klinik, arbeitete an mir. Das dauerte und ich wusste, wenn ich soweit bin, dann möchte ich ihr alles erklären.

Es war meine Freundin Kerstin, die mich im Jahr 2007 anrief und mir mitteilte, dass Claudia gestorben war. Ich weiß noch, dass ich gerade in meine neue Wohnung eingezogen war und im Wohnzimmer stand, den Blick auf mein Sofa geheftet. Meine Knie wurden ganz weich und ich konnte es nicht glauben. Wie konnte sie gestorben sein? Wir waren noch so jung, gerade einmal Ende Zwanzig. Das passierte uns nicht, gestorben wurde nur von alten Menschen! Kerstin erzählte mir, dass es ein Aneurysma gewesen war. Claudia hatte auf der Arbeit starke Kopfschmerzen bekommen und war in Ohnmacht gefallen. Krankenhaus. Koma. Tod. In mir gibt es keine Erinnerung mehr daran, woher Kerstin das alles wusste. Da sind nur Tränen. Ich habe viel geweint in der Zeit danach.

Verlust ist eine merkwürdige Sache. Jeder Mensch verarbeitet ihn anders, aber alle leiden darunter. Ob man offen trauert oder für sich allein, ob man immer an die Trauer denkt oder sie nur ab und zu wieder zum Vorschein kommt, ob man mit sich im Reinen ist oder an Schuldgefühlen fast erstickt – man ist nicht mehr der Mensch, der man vor dem Verlust war. Für mich ist die Traurigkeit nicht immer greifbar, aber ich spüre sie unter der Oberfläche. Ob ich mit den Schuldgefühlen jemals klarkommen werde, weiß ich nicht. Natürlich hätte ich nichts ändern können an ihrem Tod, aber wenn ich offener gewesen wäre, wenn ich keine Angst gehabt hätte, dann hätte sie gewusst, dass ich sie nicht aus meinem Leben geworfen habe, weil sie mir nichts bedeutet hat. Das quält mich am meisten: Dass sie gedacht haben muss, sie ist mir nichts wert, weil ich mich nicht mehr gemeldet habe. Ich wünschte, ich hätte ihr das nicht angetan.

Bei den Bildern meiner Familie und Freunde steht ein Foto von Claudia. Auf dem Rahmen der Spruch „Manche Menschen machen die Welt besonders, indem sie einfach da sind.“ und auch wenn sie nicht mehr da ist, so ist meine Welt durch sie dennoch verändert worden. Dafür bin ich dankbar. Ich bin dankbar, dass ich sie kennen durfte, dass sie mich in ihr Leben hat sehen lassen und ja, auch dafür, dass ich um sie trauern kann. Denn Trauer, das habe ich inzwischen gelernt, ist nur eine andere Form von Liebe.

ich bin valide

Ich weine nicht oft, erst recht nicht wegen Dingen, die mich selbst betreffen. Videos von ausgesetzten oder gequälten Tieren oder solchen, die von netten Menschen gerettet wurden, bringen mich sehr schnell zum Heulen. Viele andere Dinge lassen mich relativ kalt und was mich selbst angeht, vergrabe ich die meisten Gefühle irgendwo ganz tief in mir drin. Heute ist es nach langer Zeit mal wieder aus mir heraus gebrochen.

Eigentlich ist alles gut, auch wenn meine Arbeitssituation vielleicht etwas besser sein könnte. Aber ich verdiene ganz gut. Ich bin bis Ende des Jahres in Lohn und Brot und versuche mich in der derzeitigen Firma intern weiter zu bewerben. Das Problem ist, dass es sich bei den Jobs, die vakant sind, um Positionen handelt, die ich gar nicht mehr einnehmen wollte. Nach vielen Jahren, in denen ich mich für die Arbeit und die Firma aufgerieben habe, möchte ich eigentlich nicht mehr hoch flexibel und immer einsatzbereit sein. Persönliche Assistenz bedeutet immer auch ein Stück Aufgabe des eigenen Lebens. Okay, da ist bei mir jetzt nicht so viel vorhanden, dennoch möchte ich es gerne schützen.

Nach einem Vorstellungsgespräch vor etwa zwei Wochen hatte ich ein extrem schlechtes Gefühl und das ist durch gewisse Ereignisse in den letzten Tagen leider auch nicht besser geworden. Ich habe die Befürchtung, dass ich wieder versuche, die Erwartungen von anderen Menschen zu erfüllen und gar nicht genau weiß, was meine eigenen Vorstellungen und Erwartungen sind, weil ich einfach nicht genug in mich hinein horche. Aber vielleicht möchte ich gerade auch einfach nur den Kopf in den Sand stecken und bin überfordert mit allem, was an Handlungen von meiner Seite aus kommen müsste. Und eigentlich wollte ich diese Empfindungen mit niemandem teilen, habe aber den Fehler gemacht, es doch zu tun. Und schon habe ich wieder feststellen müssen, dass meine Emotionen nicht valide zu sein scheinen. Ja, ich bin ein bisschen merkwürdig in meinen Gedankengängen. Ja, ich tendiere zu Schwarzmalerei. Nein, ich bin nicht mutig. Und ich finde es nicht besonders schön, wenn mir abgesprochen wird, das alles auch sein zu dürfen. So bin ich, das ist auch okay. Ich bin nicht die ganze Zeit über so, aber es gibt Bereiche, da trifft das eben alles ganz genau zu. Und wenn ich merke, dass es nicht nur gerade alles zu viel ist, sondern mir auch gesagt wird, dass es eigentlich nicht so viel sein dürfe, weil ich alles einfach nur anders sehen müsse, dann fange ich halt doch endlich mal an zu weinen. Es wäre schön, wenn das helfen würde, meinen Kopf klar zu kriegen. Tut es leider nicht. Aber daran bin ich bereits gewöhnt. An die Wahrscheinlichkeit, dass ich in den mindestens 25 Jahren bis zu meiner Rente wohl möglich immer und immer wieder mit dieser Unsicherheit im Job konfrontiert werden könnte, habe ich mich noch nicht gewöhnt. Und auch nicht an den gedanklichen Rattenschwanz, der da dran hängt. Ich bin ein wenig traurig und auch wenn ich gar nicht erwarte, dass man immer versteht, was in meinem Köpfchen vor sich geht, so würde ich mir wünschen, dass man mir zumindest zugesteht, meine eigenen wirren Empfindungen zu haben. Kann auch sein, dass man das tut, es fühlt sich nur gerade nicht danach an. Und was ich jetzt mit dem ganzen Wust mache, der vor mir liegt, weiß ich auch noch nicht.

Am Freitag muss ich eine Art Testaufgabe im Zuge des Bewerbungsprozesses lösen. Die Aufgabe bekomme ich per Mail zugesendet und habe dann eine Stunde Zeit, um sie zu lösen. Das ist so eine fiese Situation für mich, weil es um eine Bewertung meines Könnens und irgendwie auch meiner selbst geht. Damit kann ich nicht gut umgehen und mein Imposter-Syndrom tanzt da leider sehr wild Tango. Jeder wird merken, dass ich eigentlich gar nichts drauf habe, dass ich im Grunde nicht mal für die Arbeit geeignet bin, die ich jetzt gerade verrichte. Zumindest erzählt mir das eine Stimme in meinem Kopf mit voller Überzeugung. Wenn ich keine ausreichende Leistung bringen kann, welchen Wert habe ich dann noch? Das ist ein ziemlicher Trigger für mich und in den letzten Tagen ist die Panik wieder ein Dauergast bei mir. Der vorherrschende Impuls ist, die laufenden Bewerbungen zurückzuziehen und mich außerhalb des Unternehmens anderweitig umzusehen. Allerdings ist das mein typischer Fluchtreflex bei Situationen, die ich nicht einschätzen kann oder die mich überfordern. Und ich wollte doch nicht mehr weglaufen. Das kostet gerade nur so immens viel Kraft und ich weiß nicht, ob ich die habe.

Wie immer wird alles irgendwie weitergehen. Es gibt keinen Stillstand, selbst wenn man das noch so gerne möchte.

De Zoch kütt… nicht.

Ich werde oft gefragt, warum ich kein Auto besitze. Ob ich denn keinen Führerschein hätte? Doch, den besitze ich. Zwar bin ich lange nicht mehr Auto gefahren, aber das ist vermutlich wie Radfahren und man verlernt es nicht. Als ich noch regelmäßig fuhr, war ich eine gute Autofahrerin und mir hat das auch immer Spaß gemacht. Nur war es halt finanziell nie drin, mir einen Pkw anzuschaffen. Und wozu auch? Es gibt immerhin den öffentlichen Nahverkehr und gerade in Großstädten nutze ich den viel lieber als mich selbst auf die Straße zu wagen. Man kommt schneller voran, ist entspannter und die monatlichen Kosten sind auch niedriger.

Ich sage es gleich dazu: Das war meine Sicht der Dinge, bevor ich im Jahr 2013 von Hamburg nach NRW gezogen bin. Hamburg hat ein wirklich gutes Netz an öffentlichen Verkehrsmitteln und bis heute denke ich noch oft mit Wehmut daran zurück. Ich war davon ausgegangen, dass es in NRW ähnlich gut sein würde, denn immerhin befinden wir uns hier in einem Ballungsgebiet, aber zu meiner Überraschung traf ich auf eine ÖPNV-Vollkatastrophe. Pendeln hat mir nie wirklich etwas ausgemacht, auch innerhalb Hamburgs bin ich teilweise über eine Stunde mit den Öffis gefahren, um zur Arbeit zu kommen. Aber dort war man wenigstens kontinuierlich unterwegs und hat nur selten mit hohen Verspätungen und kompletten Ausfällen zu tun gehabt.

Nun wohne ich an einem der meistbefahrenen Schienennetze Deutschlands und man sollte meinen, dass dies entsprechend gut gewartet und ausgebaut wird, aber der erfahrene Pendler in NRW weiß bereits, dass dem nicht so ist. Verspätungen, Ausfälle, Baustellen, Oberleitungs- und Weichenschäden und viele weitere Ärgernisse sind hier fester Bestandteil des täglichen Arbeitsweges. Außerdem sind viele Anschlüsse nicht aufeinander abgestimmt, was teilweise Wartezeiten ergibt, die einem die Tränen in die Augen treiben. So kam es, dass mein Arbeitsweg bis vor kurzem dank Umstiegszeiten nicht „nur“ 45 Minuten betrug sondern ganze 90 Minuten. Pro Strecke. Da kann man schon mal zwei Spielfilme am Tag schaffen. Die Streamingdienste und mein Handyanbieter freuen sich.

Vor etwas mehr als einer Woche bin ich umgezogen. Raus aus den Bergen, ab an den Rhein. Nun lebe ich genau zwischen zwei Großstädten, die Anbindungen sind super, meine Fahrtzeiten reduzieren sich. Eigentlich. In der Nachbarstadt wird der Bahnhof umgebaut, das wird noch einige Monate in Anspruch nehmen, daher ist die Strecke gesperrt und man ist auf den Schienenersatzverkehr angewiesen. Der muss sich selbstverständlich durch den Berufsverkehr quälen, daher erhöhen sich die Fahrtzeiten. Unter 90 Minuten bis zum Büro läuft daher wieder nichts, besser mal 120 Minuten veranschlagen. Immerhin haben sich die Fahrtkosten um knapp ein Drittel reduziert. Man muss die positiven Dinge sehen.

Der öffentliche Nachverkehr ist eine tolle Sache. Wenn man ihn denn vernünftig nutzen kann und sehr viel Zeit mitbringt. Zu hohe Erwartungen sollte man vielleicht nicht stellen, da könnte eine Enttäuschung folgen. Ich freue mich auf den Tag, an dem das Schienennetz gut ausgebaut und Busanbindungen sowohl in der Stadt als auch auf dem Land im ausreichenden Maß vorhanden sind. Ob ich den ohne Zuhilfenahme von Kryotechnologie und dem Fortschritt der modernen Wissenschaft jemals erleben werde, ist allerdings fraglich.

Raus aus dem Game

Heute Morgen habe ich die letzte noch auf meinem Handy verbliebene Dating-App gelöscht. Ich hatte vorher gar nicht groß darüber nachgedacht, ob ich das tun wollte oder nicht. Die Entscheidung kam wie aus dem Nichts angeflogen und ich dachte nur: „Stimmt, das möchte ich jetzt machen.“ War nicht schlimm, nicht kompliziert, kein Ziepen, kein Nachbluten.

Eigentlich habe ich das Dating-Game in den letzten fünf Jahren auch nicht wirklich ernst genommen. Da war nie ein Punkt, an dem ich mir dachte, dass nun aber unbedingt ein neuer Partner fällig wäre. Für ein paar Monate gab es jemanden, aber auch das war nach genauerer Betrachtung eher larifari und hat null gepasst. Und dass ich mich köstlich darüber amüsiert habe, wie das zu Ende ging, zeigt auf jeden Fall, dass ich emotional nicht wirklich involviert war. Ist aber auch okay. Besser so als ein Herz wie ein Schaschlikspieß.

Will man mit Dating-Apps wirklich Erfolg haben, müssen wohl einige Faktoren zusammenkommen. Vor allem braucht man entweder viel Glück oder man muss seine Schlagzahl in Bezug auf Chats und Treffen wesentlich erhöhen. Ersteres war mir nicht vergönnt, für zweiteres fehlen mir Lust und Bereitschaft. Ich bin wohl wirklich eher altmodisch gestrickt und kann nicht gut damit umgehen, Leute in einer App kennenzulernen, die schon mit der Vorannahme arbeitet, dass hier ein potentieller Kandidat für eine Beziehung oder wenigstens für Sex in deinen Posteingang gesurft kommt. Ich mag das nicht, das setzt mich auf eine unangenehme Art unter Druck, weil ich die vermeintliche Erwartungshaltung der Männer hinter jedem Satz spüre. Nicht schön.

Außerdem nervt es mich unglaublich, bereits nach kürzester Zeit in Richtung irgendwelcher sexuell gearteter Themen dirigiert zu werden. Nein, Franz, ich möchte nicht, dass du mir ein Pimmelbild schickst. Nein, Gabriel, es hat dich einfach nicht zu interessieren, was für Unterwäsche ich trage und warum. Nein, Michael, ich schicke dir keine anzüglichen Fotos von mir. Und nein, Philip, ich möchte nicht wissen, dass du den Nachmittag damit verbracht hast, auf dem Sofa „Fünf gegen Willi“ zu spielen. Solche Themen sind der Grund dafür, warum ich Gespräche sehr schnell abbreche. Ich bin nicht prüde, aber wenn ich jemanden erst fünf Minuten kenne beziehungsweise mit ihm chatte, dann halte ich es für unangebracht, ohne jegliche Motivation mit so etwas um die Ecke zu kommen. Ich finde das respektlos und falls ich vorher Interesse an der Person hatte, hat sich das schlagartig erledigt. Und ich frage mich: Bin ich die Einzige, die so empfindet? Haben Männer so viel Erfolg mit dieser Tour, dass sie es eiskalt jedes Mal durchziehen? Ist es das wichtigste Thema auf der Welt, ob eine wildfremde Frau gerne „Hoppe Hoppe, Reiter“ spielt oder nicht? Was ist denn aus Gemeinsamkeiten, Hobbys, Zielen fürs Leben geworden? Scheint so, als habe ich einen Trend verpasst, den ich weder mag noch verstehe.

Mir ist das alles zu anstrengend. Ich bin zu müde dafür und mag jetzt auch nicht mehr. Es gibt in meinem Leben wahrlich andere Dinge, um die ich mich lieber kümmere und für die ich meine Ressourcen gerne einsetze. Wenn ich alles, was mich in irgendeiner Form belastet und mir gerade zu viel ist, so leicht aus meinem Leben entfernen könnte, dann würde ich es tun. Kann ich aber nicht, darum muss nun halt das Online-Dating-Game dran glauben und das ist gut so.

22 km

Gestern war Dienstag. An Dienstagen habe ich eigentlich andere Dinge zu tun als mich physisch mit Menschen zu treffen. Es gibt da nämlich ein kleines Freundesgrüppchen, das sich jeden Dienstagabend online trifft, um ein paar Stunden gemütlich miteinander zu zocken. Das ist schön. Und der Weg ins Bett ist danach auch nicht besonders weit. Nun, gestern fiel diese Runde aus, denn einer der Beteiligten war für einen Kurzbesuch nach NRW gekommen und man hat sich treffen wollen. Also, auf ging’s in den öffentlichen Nahverkehr!

Aber einsteigen und losfahren ist einfach nicht drin bei der Deutschen Bahn und im Moment erst recht nicht! Wo kämen wir denn da hin? Der Plan war denkbar einfach: Treffen bei der Besten. Der Freund fährt aus der einen Stadt los, ich aus der anderen, wir treffen uns an einem dritten Ort und fahren gemeinsam ans Ziel. Die Realität sah einen etwas anderen Ablauf der Ereignisse vor.

15:55 Uhr: Ich habe ein wenig früher Feierabend gemacht, damit ich pünktlich los komme und den Zug erwische. Freue mich ziemlich und bin sehr guter Dinge. Fix noch den Katern etwas zu essen machen und dann raus aus der Tür. Mein Zug kommt in 10 Minuten und ich möchte ihn nicht verpassen.

16:05 Uhr: Ich stehe am Bahnhof. Der Zug sollte nun jede Sekunde kommen.

16:07 Uhr: Immer noch kein Zug in Sicht.

16:10 Uhr: Wo bleibt er denn? So langsam wird es knapp mit dem Anschluss.

16:11 Uhr: Eine Ansage ertönt, denn mein Zug hat Verspätung. Den Anschluss kann ich nun nicht mehr erreichen und ich schreibe dem Freund eine Nachricht, dass ich mich um ca. 20 Minuten verspäten werde. Ist nicht schlimm, er ist ganz entspannt. Schön, dann bin ich das auch.

16:35 Uhr: Ich sitze nun am nächsten Bahnhof und warte. Es ist bewölkt, aber warm und ich beginne zu schwitzen.

16:45 Uhr: Ich schreibe meinem Freund eine Nachricht, dass er ohne mich zur Besten fahren soll. Gerade kam die Durchsage, dass mein Zug ausfällt. Als Antwort erhalte ich die Nachricht, dass in der anderen Stadt die Züge in die Richtung, in die ich muss, ebenfalls komplett ausgesetzt wurden. Ich lach-weine und suche nach Alternativen, von denen es dank diversen Baustellen, Streckensperrungen und Schienenersatzverkehr aus der Hölle nicht allzu viele gibt.

16:52 Uhr: Am Bussteig 1 herrscht geschäftiges Treiben. Wir warten auf den Bus, der uns in 45 Minuten Richtung Großstadt bringen wird. Dort darf ich dann noch einmal umsteigen und weitere 35 Minuten bis zu meinem Ziel fahren. Dann los!

17:43 Uhr: Der Zwischenstopp ist erreicht. Ich mag die Strecke nicht besonders, aber der Busfahrer war super und hat die Maskenpflicht im Bus konsequent durchgesetzt. Das hat mir die Fahrt sehr versüßt. Das und seine Ähnlichkeit mit einem italienischen John Snow.

18:01 Uhr: Der Anschlussbus kommt. Läuft!

18:36 Uhr: Ich bin am Ziel! Etwa eine Stunde später als ursprünglich angedacht, aber immerhin! Dass ich für die Überwindung einer Strecke von 22 km nun über zweieinhalb Stunden gebraucht habe: Geschenkt!

Da mir so etwas wirklich ständig passiert wenn ich die öffentlichen Verkehrsmittel benutze, war ich nicht wütend. Tatsächlich war ich nicht einmal besonders überrascht. Das sagt wohl einiges über die mir bekannte Zuverlässigkeit der Bahnen aus. Das Gute ist, dass mir der Vorfall also nicht die Stimmung verdorben hat und wir einen wirklich schönen Abend hatten. Der Rückweg war weit weniger chaotisch, doch auch wieder geprägt von den sehr merkwürdigen Verbindungen. Bei einer Abfahrtszeit von 21:20 Uhr war ich erst um 23:15 Uhr wieder zuhause.

Sicher können Leute auf dem platten Land bei solchen Schilderungen nur müde lächeln, denn da ist es ja noch schlimmer. (Ich habe in der Eifel gelebt, ich weiß, wovon ich rede.) Aber für ein Ballungsgebiet im bevölkerungsreichsten Bundesland ist das jetzt nicht unbedingt ein Aushängeschild.

reboot

Die letzten Monate waren schreibtechnisch wirklich keine gute Zeit bei mir. Seit dem Auftreten von Corona ist mein Leben auf einen so kleinen Raum zusammengeschrumpft, dass es kaum noch etwas gab, was sich aufzuschreiben gelohnt hätte. Meine Gedanken wurden immer düsterer, die Texte hier auch und ich wusste: „Nope, das ist nicht das, was du willst.“ Also Abstand, Finger still halten. Hat mir ganz gut getan, doch inzwischen fühle ich mich wieder etwas offener im Kopf und die Lust am Schreiben ist zurück.

Im Moment arbeite ich hinter verschlossenen Türen an einem Projekt, das eine sehr liebe Freundin und ich uns vorgenommen haben. Wenn es dazu mehr zu sagen gibt, werde ich hier vielleicht mehr dazu berichten. Und gerade heute habe ich mit meinen Mädels darüber gesprochen, dass ich über meine Erlebnisse mit öffentlichen Nahverkehr berichten sollte. Ich führe nämlich bei den meisten meiner Fahrten eine unfreiwillige Feldstudie zum ÖPNV durch. Das fand ich eine ganz nette Idee und so werde ich dazu wohl zukünftig auch ein paar Texte schreiben.

Das alles muss innerhalb der nächsten sechs Wochen parallel zu meinem Umzug stattfinden, denn nach fünf Jahren in dieser Stadt werde ich endlich aus den Bergen ins flache Rheinland ziehen. Ich kann es selbst noch nicht so ganz glauben, freue mich aber sehr auf die neue Wohnung, den neuen Ort, ein aktiveres Sozialleben und vor allem auch auf flaches Land und Wasser. Zum ersten Mal seit 15 Jahren ist es wieder meine freie Entscheidung, wo und wie ich leben möchte und es gab keine äußeren Umstände, die mich zu etwas anderem gezwungen hätten. Das fühlt sich einfach gut an.

Ich nehme das als positives Zeichen für die Zukunft an.

Das Kreativitäts-Dilemma

In meinem Leben habe ich schon einige Dinge als Hobby betrieben, die andere Menschen als kreativ bezeichnen würden: zeichnen, schreiben, Kostüme nähen und fotografieren zum Beispiel. Ich habe oft gehört wie toll es doch sei, dass ich meine kreative Seite so ausleben könne und wie schön es sei, dass es so fantasievolle Menschen wie mich gäbe. Es war mir schon immer unangenehm, solche Kommentare zu hören. Zum größten Teil deswegen, weil mir an mich gerichtete nette Worte oft falsch vorkommen, aber auch und vor allem weil ich einfach nicht kreativ bin.

Für mich bedeutet Kreativität vor allem, etwas aus dem Nichts erschaffen zu können oder mit wenigen Mitteln eine Illusion des Neuen zu erschaffen. Das ist beispielsweise bei der Fotografie so. Alles, was man braucht, ist schon da. Ein Foto ist zunächst nur ein Foto. Ich halte nur die Kamera auf ein Motiv, ich drücke auf den Auslöser. Fertig. Kreativ bin ich dann, wenn ich dem Motiv eine Stimmung zuweise. Wenn ich das Bild mit kleinen Kniffen oder Hilfsmitteln so ändere, dass es kein bloßes Abbild mehr ist sondern eine Illusion, die neben der Wirklichkeit existiert. Klingt etwas abstrakt, meint aber: Was auf dem Foto zu sehen ist, kann ich nicht 1:1 wiederfinden.

Beim Zeichnen ist es meist viel offensichtlicher. Statt Landschaften oder Gebäude einfach abzumalen, erzeugt die Vorstellungskraft ganz neue Welten in den Köpfen. Man sieht Farben, Formen, Bewegungen. Man taucht ein in diese Fantasie und bringt sie dann zu Papier. Gleiches gilt für das Schreiben. Wer Geschichten in sich findet und sie niederschreibt, der ist kreativ. Für Bachelorarbeiten oder Geschichtsaufsätze gilt das weniger.

Kostüme zu nähen mag auf den ersten Blick kreativ wirken. Ist man aber Cosplayer (so wie ich es war), erfindet man in den meisten Fällen nichts eigenes. Man richtet sich nach Vorlagen, studiert das, was man kopieren möchte, möglichst genau. Die wenigsten Cosplayer probieren sich an Eigenkreationen oder versuchen eine persönliche Note in die Kleidung einzuarbeiten. Man arbeitet sich an Vorgaben ab, es gilt nur, den Übergang von einer künstlichen in die reale Welt zu vollziehen. Kreativ sind dabei nur diejenigen, die neue Materialien oder Arbeitsmethoden nutzen. Die werden dann tausendfach kopiert.

Es ist sehr eindeutig: Der einzige Bereich, in dem ich jemals wirklich eigenständig kreativ gewirkt habe, ist das Schreiben. Viele Jahre lang flossen die Geschichten aus mir heraus, wurden aus meinen Gedanken in die Welt hinein geboren. Das war schön und es hat mich erfüllt. Doch je höher meine Ansprüche an mich selbst wurden, desto schwerer fiel es mir, eigene Ideen zu entwickeln. Alles war fad, ausgelutscht, nicht innovativ, einfach nicht gut genug. Und so versickerte meine Begeisterung, wurde zu einem kleinen Tröpfeln in den Tiefen meiner selbst. Ich kriege es nicht hin, den Zufluss wieder zu öffnen, egal wie sehr ich es versuche. Klar, ich kann immer noch ganz gut mit Worten. Darauf bin ich auch ein wenig stolz. Doch wirklich etwas damit anfangen kann ich anscheinend nicht mehr. Die Verbindung zwischen dem, was mir liegt und dem, was die Kreativität ins Spiel bringt, wurde unterbrochen.

Der Gedanke daran macht mich traurig. Vor allem wohl, weil er mir vor Augen führt, dass ich immer nur einen einzigen Traum hatte, den ich mir wohl nicht erfüllen kann, was meine Leistungen in diesem Leben auf ein sehr überschaubares Nichts begrenzt. Wenn ihr also nicht einfach nur existieren wollt, um anderen die Luft weg zu atmen und eure Moleküle durch die Gegend zu schieben, nutzt eure Talente und eure Kreativität so lange es noch geht!